In der neuen Ausgabe von „Man wird ja wohl noch urteilen dürfen” erzählt die „Women of Hamburg“-Kolumnistin Neele Suckert, wie aus einer schlichten Wachsjacke ein unausgesprochener Gesellschaftsvertrag wird und warum in Hamburg nicht nur die Stadt, sondern auch die Garderobe zuverlässig Barbourgrün ist.

„Du siehst aus wie eine englische Prinzessin“, hat letztens ein Kollege gesagt, als ich im Verlag mit meiner schlecht nachgewachsten Barbourjacke auftauchte. Meine Nägel waren passend mit Essies Ballet Slippers lackiert – klar, die Lieblingsfarbe der verstorbenen Queen. Der Vergleich passte, und ich musste schmunzeln, weil ich sie eigentlich nur trage, wenn es regnet und in Hamburg regnet es bekanntlich ja fast immer. Die Jacke war nie ein Fashion-Statement, eher eine Notwendigkeit. Eine Regenversicherung mit Kragen. Sobald es draußen kälter wird, layere ich die Jacke sogar mit einer Steppjacke – natürlich auch von Barbour.
Aber jetzt, wo TikTok die „Old Money Aesthetic“ entdeckt hat, ist aus der Wachsjacke plötzlich ein Gesellschaftsvertrag geworden. Eine Art Preziose fürs Prestige. Im Ernst: Ich saß neulich im Ristorante Da Mario, draußen auf der herbstlichen Terrasse, zwischen Heizpilzen, fantastischer Bolognese und Menschen, die aussehen, als hätten sie den Dresscode beim British Polo Day gegoogelt. Wirklich jeder trug sie. Christian Kracht hatte in Faserland absolut recht: Alle Mädchen waren Barbourgrün. Und nicht nur sie, Hamburg ist unlängst Barbourstan: Pärchen trugen die Jacke im Partnerlook – sie mit einem leuchtenden Hermès-Twilly gepaart, er mit einer ironischen Fischerei Tegernsee-Cap. Die Verbindungsstudenten nutzten die Jacke als Erkennungsmerkmal; erkannte ich da etwa einen Schmiss am Cordkragen?! Nein, ich irrte mich, es war nur altersbedingter Verschleiß. Selbst der Kellner hatte so einen olivfarbenen Stich im Licht – wobei, vielleicht halluzinierte ich das auch nach der ersten Flasche Brezza Bianco.
Hamburg ist die englischste Stadt des europäischen Kontinents
Diese Stadt liebt es, sich britisch zu fühlen. Die traditionelle Teatime und unsere
norddeutsche Teetied sind sich schließlich recht ähnlich. Außerdem entschuldigt man sich auch in Hamburg, bevor man widerspricht. Und wenn man sich schon als Hanseat nicht leisten will, auffällig zu sein – dann wenigstens wetterfest, mit einem gewissen Namedropping. Hamburg ist anglophil bis in die Poren. Der Anglo-German Club wirkt wie das königliche Außenlager von Harvestehude. Eppendorf bezeichnet sich, nicht einmal ironisch, als das kleine Notting Hill. Selbst in Ottensen diskutieren Kreative darüber, ob und wie sich Tweed ironisch tragen lässt. Und irgendwo an der Alster trainieren Menschen, die aussehen, als würden sie am Wochenende in Ascot reiten – nur dass ihr Pferd meistens ein Cayenne ist und die Ausrittstrecke der Mühlenkamp.
Hamburg funktioniert so: Understatement ist hier eine Währung. Niemand prahlt, man zeigt bloß beiläufig, dass man könnte. Vielleicht ist deshalb alles in Hamburg Barbourgrün – nicht, weil die Leute dazugehören wollen, sondern weil es anscheinend die einfachste Form ist, um elegant eben nicht aufzufallen. In keiner anderen Stadt sieht gepflegte Gleichförmigkeit so chic aus. Modegiganten wie Ganni und Arket kollaborierten bereits mit der britischen Traditionsmarke, der Trend ist seit den 90ern unaufhaltsam. Barbourgrün passt zum grauen Himmel, zu dem Trendhund der Saison (vom Doodle wurde auf jegliche Dackelformen umgesattelt, Old Money eben) – und zu diesem merkwürdigen Selbstverständnis, dass man Teil einer übergeordneten Gruppe ist, sobald man sich gleich anzieht. Eine Uniform, wie gesagt. Und natürlich erkennt man den Unterschied zwischen Original und Imitat sofort: Die echte riecht nach Wachs und Wochenendhaus, die Kopie nach Polyester und Plattenbau.
