Auf der Suche nach dem Hamburger Happy Meal

Diese Woche nimmt uns die „Women of Hamburg“-Kolumnistin Neele Suckert in der ersten Ausgabe von “Man wird ja wohl noch urteilen dürfen” mit zur Cocktailstunde ins Heritage – zu Pommes, Martini und der Frage, ob Hamburg überhaupt loslassen kann. Ein Abend zwischen Happy Meal und Happy Hour. 

Women of Hamburg Kolumnistin Neele Suckert fragt sich, ob Hamburg seine eigene Version des New Yorker Happy Meals hat in der Lions Bar

„This is the New York Happy Meal“, sagte ein guter Bekannter von mir und schob mir grinsend einen Teller Pommes rüber, während ich etwas abgehetzt meine Tasche unter dem Tisch der Cocktailbar im Heritage verstaute. Martini in der einen, Fritten in der anderen Hand – ein Konzept, das so amerikanisch ist, dass es fast schon wieder charmant wirkt. Fett, Kohlenhydrate, Alkohol: eine Dreifaltigkeit, die jede Deadline vergessen lässt und das Belohnungssystem zuverlässig anheizt. 

Ich hatte mich gerade erst vom Verlag losgeeist – letztes Licht, letzte E-Mail, letzte „kurze Rückfrage“. Wer hätte gedacht, dass die Day-to-Night-Tipps aus den Illustrierten meiner Mutter doch irgendwann mal praktisch werden würden: ein Spritzer Coco Noir, auffällige Ohrringe von Stegmann, Laptop zu – fertig für die Cocktailstunde. 

Das Heritage war gedimmt wie immer, Gespräche plätscherten wie Hintergrundmusik. Er – gepflegt, gebräunt, Werber, beruflich bestens vernetzt – erklärte, dass in New York nach der Arbeit überall Pommes zum Drink gereicht würden. Ein inoffizielles Feierabendritual, ein urbanes Trostpflaster. Statt eines Spielzeugs oder Clowns gibt’s Martini als Muntermacher. „Man kommt runter, aber mit Stil“, sagte er. Ich musste lachen. In Hamburg komme ich gar nicht runter – ich bleibe einfach oben. Auf einer Dauerwelle aus unbeantworteten Mails, Espressi und gesellschaftlicher Verpflichtung. 

In Hamburg begleitet der Drink das Dinner 

Ein Hamburger Happy Meal gibt es so eigentlich nicht. Diese Stadt ist zu kontrolliert für spontane Glücksmomente, zu sehr Understatement, zu wenig Eskapismus abseits der Reeperbahn. Was für Manhattan der Martini ist, ist hier der Gin Basil Smash – grün, elegant, frisch. Nur die Oliven fehlen, also jeder Anflug von Nahrhaftigkeit. Im Le Lion, wo der Drink erfunden wurde, reichen sie kleine Hors d’œuvre, die eher dekorieren als sättigen. Essen ist hier Begleitgeräusch, kein Bedürfnis. Viel ehrlicher wäre da eine Marlboro Gold – sie zügelt wenigstens zuverlässig den Appetit. 

Die New Yorker Schriftstellerin Fran Lebowitz schrieb einmal: „If you can eat it, it’s not art. If you can say ‘I’ll have that and a cup of coffee,’ that’s not art, that’s a snack.“ Ich, als Europäerin, widersprach beim Lesen innerlich sofort. Hier bei uns ist Essen Kunst und Kulturgut – es bewegt, verbindet, entschleunigt. Das können die Erfinder von Drive-Ins und Hot Dogs natürlich nicht nachvollziehen. Ein wirklich guter Abend beginnt hier nicht mit einem Happy-Hour-Drink, sondern mit einem hervorragenden Dinner und führt dann unerlässlich zum Cocktail. 

Mein Bekannter redete weiter über Manhattan, Rooftop-Bars, die ausgefallenere Drinks führen und höher gelegen sind als das Heritage, über Lokale, die in Hamburg zu experimentell wären. Ich aß meine Pommes langsam, fast andächtig. Draußen zog Nieselregen über die Alster, der Martini spiegelte das Licht der Bar. Ich stoß mit ihm an und lächelte selig. Das nächste Mal würden wir uns zwei Etagen weiter oben zum Dinner treffen – dort, wo der Ausblick besser ist als in New York und das Essen sowieso. 

Neele Suckert

Neele Suckert

Neele lebt in Hamburg, schreibt über Frauen, die sie mit scharfem Blick beobachtet, und über die Stadt, die sie ganz besonders liebt. Ihre bevorzugte Schreibumgebung: irgendwo zwischen Alsterblick und Aperitif.

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