„Vintage-Nerzmantel statt Friesennerz“

Women of Hamburg-Kolumnistin Neele Suckert liebt Regen, zumindest solange er auf Seide fällt. Hamburg ist für sie mehr als ein Wohnort – es ist eine Stadt, zu der sie eine Verbundenheit spürt, wie sie sie zuvor nie gekannt hat.

Neele Suckert

Neele Suckert, 29, „Women of Hamburg“-Kolumnistin. 

Ich habe irgendwann aufgehört, Hamburg einfach nur zu sehen, und stattdessen angefangen, mich darin zu inszenieren. Nicht einmal mit Absicht – eher aus Notwendigkeit. Diese Stadt verlangt nach Haltung. Wer keinen Stand hat, bekommt ihn hier verpasst. Wer hier lebt, braucht eine Meinung zu Crémant, zu Cashmere und zu Cuisine. Meinen Friesennerz habe ich daher gegen ein Vintage-Nerzmäntelchen ausgetauscht.

Ich bin Journalistin. Beruflich beobachte ich Menschen, privat auch. Hamburg ist dafür die ideale Beobachtungslage, mit seinen Straßencafés, in denen man nie ganz unbemerkt bleibt, und seinen nächtlichen Society-Etablissements. Ich nenne es Feldforschung. Im Engelke beobachte ich Paare, die aussehen, als hätten sie sich gerade erst auf Instagram kennengelernt. In der Jahreszeiten-Bar erkenne ich am Lippenstiftabdruck am Glas, wer sich trennt. Und im Verlag lerne ich täglich, dass die besten Geschichten dort passieren, wo keiner hinschaut – meistens in der Raucherecke oder auf der Damentoilette.

Man sagt, die Hamburger seien verschlossen. Ich sage: Sie sind einfach zu gut darin, Gefühle zu kuratieren. Ich komme aus dem Norden, daher erkenne ich Zärtlichkeit, auch wenn sie sich als Schweigen tarnt. Die Menschen hier sind ehrgeizig, belesen, überarbeitet und erstaunlich charmant und humorvoll. Genau deshalb fühle ich mich hier zuhause. Es gibt Städte, die laut sind. Hamburg flüstert – und jeder will zuhören. Es ist die einzige Stadt, die gleichzeitig posieren und denken kann.

Zwischen Regen und Hochglanz habe ich meine Heimat gefunden

In meiner kleinen Wohnung fühle ich mich angekommen. Henry Mancini spielt leise von der Platte, während ich schreibe. Als Hamburgerin trage ich vielleicht nicht Givenchy, sondern Jil Sander, und frühstücke nicht bei Tiffany’s, sondern bei Brahmfeld & Gutruf. Draußen wird es langsam hell über der Alster – dieses fahle Licht, das alles schöner macht, selbst die Tristesse. Sieben Schwäne ziehen vorbei, ich wäre gern der Achte. Der Regen fällt, doch er fällt auf Seide, es ist also nicht so schlimm. Hamburg hat diese seltene Gabe, Melancholie in Hochglanz zu verpacken. 

Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, sage ich: von hier. Nicht, weil es direkt stimmt, sondern weil Zugehörigkeit meine Entscheidung ist. Hamburg ist die Stadt, in der man allein sein darf, ohne einsam zu wirken. Hier geht es nie darum, wer man war, sondern nur darum, wie gut man das jetzige Licht einfängt. Hamburg ist meine Heimat.

Neele Suckert

Neele Suckert

Neele lebt in Hamburg, schreibt über Frauen, die sie mit scharfem Blick beobachtet, und über die Stadt, die sie ganz besonders liebt. Ihre bevorzugte Schreibumgebung: irgendwo zwischen Alsterblick und Aperitif.

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